Heide (2019) In der Multimedialen Ausstellung Heide erzählt Larissa Rosa Lackner die Geschichte der jungen Frau Heide Peschke, die in den 1980er Jahren in einem Wohnblock für ArbeiterInnen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft in der Uckermark (Brandburg) lebte und als Steinsammlerin arbeitete.

Anhand der geheimnisvollen Hauptprotagonistin wirft Lackner einen Blick auf das Leben zu DDR-Zeiten, geht den Spannungsfeldern „Individuum/Gesellschaft“ sowie „Stadt/Land“ nach und untersucht das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Dabei bewegt sie sich gezielt zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Erzählformen und bedient sich der Sprache und Ästhetik des Authentischen: Zeitzeugengespräche, Archivmaterialien, ein konkreter Ort, Fotografien und gefundene, als Beweismaterial auftretende Objekte, sind die Bausteine einer vermeintlich wahren Geschichte.

Doch dort, wo eine objektivierende Autorisierung des Materials stattfinden soll, fügt Lackner stets einen Moment des Subjektiven, Künstlerischen ein. Die Installation besteht aus einem 20 minütigen Video, 7 C-Prints an der Wand, einen großen Texttafel, ein Rahmen mit Vintageprints und einem Tisch- und Bankgestell auf dem 3 Hefte liegen (Heide1-3).

In Heide 1, einer Hommage an Heides Tätigkeit als Steinesammlerin, fotografiert Lackner Steine. Vor verschieden farbigem Hintergrund abgebildet, tritt das Objekthafte der Steine zugunsten eines eindringlichen Farben- und Formenspiels zurück. Das Interesse gilt nicht nur den Perspektiven, die eingenommen werden können, um ein Objekt- oder im übertragenen Sinne auch eine Geschichte oder Person zu beleuchten, sondern auch die Thematisierung der Inszenierung an sich, die durch das aufbrechen der Produktionsbedingungen verdeutlicht wird.

Gefunden wurden die fotografierten Steine, laut einer Bestandsaufnahme in Heide 2 und einem Texttafel an der Wand, in der Datsche des LPG-Wohnblocks. Eine ganze Reihe weiterer Gegenstände ist hier aufgelistet: Schallplatten und Kassetten, Hefte und Einmachgläser, die Ausstattung eines Fotolabors. Es sind Überreste eines vergangenen Alltags, Hinterlassenschaften einer Person, deren Charakterisierung sich allmählich anhand der von ihr gesammelten Dinge herausbildet. Der Blick auf das Leben in dem kleinen DDR-Ort wird anhand der Text- und Bildfragmente aus der Chronik der Gemeinde Groß-Fredenwalde sowie anhand des Gesprächsprotokolls zwischen der Künstlerin Lackner und einem Mann namens Wolfgang zunehmend schärfer gestellt.

Heide – die Einzelgängerin, die Kräuter- und Steinesammlerin, die LPG-Arbeiterin und Fotografin – die sich zuerst in die Kunst und den Rausch flüchtetet und schließlich aufs Land, um den Zudringlichkeiten der Stasi zu entgehen. Oder wurde sie nicht doch vielmehr nach Böckenberg zwangsversetzt? Die Inszenierung spielt mal offen, mal subtil mit Uneindeutigkeiten, Lücken und Irritationen, die sich im Nachhinein als Andeutungen zu erkennen geben.

Doch diese Dramaturgie wird immer wieder durch abstrakt wirkende Abbildungen unterbrochen. Im Index, der Heft 2 abschließt, erfahren wir, dass es sich hierbei um Negative handelt, die Lackner im verlassenen Wohnblock fand oder auf Ebay ersteigerte. Doch der Index listet nicht nur vermeintliche Spuren von Heides Existenz auf, sondern enthält auch erste Hinweise auf die verschiedenen Erzählformen und -mittel, die Lackner einsetzt.

In Heft 3 begegnen wir schließlich Heides Blick auf sich selbst durch die Kamera. Wir sehen Heide immer alleine, in ihrer Wohnung, im Garten, der Natur und in ihrem Spiegel. Ohne Zweifel, hier findet eine Inszenierung statt – doch wo hört sie auf und wo beginnt der Bereich des Wirklichen? Wie fest ist dieses Bild, das ihre Selbstporträts vermitteln, in der Wirklichkeit verankert? Beweisen diese Fotografien die Existenz der Heide Peschke oder sind sie Handlanger eines Schauspiels?

Das Video stellt Interviews und Archivaufnahmen, die den Gestus der Sozialreportage imitieren, assoziative Bilder, Youtube-Videos und Screenshots von Google-Suchanfragen einander gegenüber. Auf diese Weise legt Lackner die Mittel der Erzeugung von Glaubwürdigkeit offen und stellt diese Wahrheitskonstruktion gleichzeitig infrage. In Heide verdeutlicht sie, dass Authentizität keineswegs eine Eigenschaft von Dingen bzw. Personen ist, sondern „... eine Zuschreibung in einer bestimmten Kommunikationssituation“.¹

Text: Ferial Nadja Karrasch


1 Achim Saupe, Historische Authentizität: Individuen und Gesellschaften auf der Suche nach dem Selbst – ein Forschungsbericht, o.S., URL: https://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-2444 [zuletzt aufgerufen am 25.3.2019].